STREIT 2/2023
S. 70-72
OLG Zweibrücken, § 1684 BGB
Umgangsausschluss bei schwerer Gewalt gegen die Mutter
1. Ein Umgangsausschluss kann gerechtfertigt sein, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass durch die Gewährung des Umgangs die körperliche und/oder die seelische Unversehrtheit des Obhutselternteils gefährdet wäre, da das Wohl des Kindes ganz entscheidend von der Unversehrtheit dieses Elternteils abhängt.
2. Eine Gefährdung des Kindeswohls kann auch dadurch begründet sein, dass ein Umgang erstmals in einer Justizvollzugsanstalt stattfinden müsste und das Kind dabei mit den massiven Straftaten des den Umgang begehrenden Elternteils zulasten des Obhutselternteils und deren Folgen konfrontiert würde.
3. Wird mit dem Umgangsverfahren lediglich bezweckt, wieder in Kontakt mit der Kindesmutter zu kommen und das Kind zur Erreichung dieses Ziels instrumentalisiert, kann ebenfalls eine Gefährdung des Kindeswohls gegeben sein.
(amtliche Leitsätze)
Beschluss des OLG Zweibrücken vom 30.6.2022 – 6 UF 18/22
Zum Sachverhalt:
Der Antragsteller ist Vater der Kinder … und … . Die Kindeseltern, die beide die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, sind nicht standesamtlich verheiratet. Eine Eheschließung erfolgte nach islamisch-religiöser Art. […]
Nach den Feststellungen der 1. Schwurgerichtskammer des LG Karlsruhe dauerte die Beziehung zwischen den Kindeseltern von 2007 bis Ende des Jahres 2013. Sie war unterbrochen durch zahlreiche vorübergehende Trennungen, erstmals im Jahr 2008, und geprägt von verbalen und tätlichen Übergriffen des Antragstellers gegenüber der Antragsgegnerin. […]
Die Taten des Antragstellers zogen eine Verurteilung durch die Schwurgerichtskammer zu einer Freiheitsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen versuchter besonders schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Jahren nach sich. Die gegen das Urteil gerichtete Revision des Antragstellers wurde am 29.4.2015 durch den BGH verworfen. […]
Seit seiner Inhaftierung besteht kein Kontakt mehr zwischen dem Antragsteller und seinen Kindern.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 6.6.2020 beantragte der Antragsteller die gerichtliche Regelung des Umgangs mit den beiden Kindern. Im Einzelnen begehrte er die Ausübung des Umgangs einmal wöchentlich für die Dauer von zwei Stunden in der JVA, für die Zeit nach Haftentlassung zweimal wöchentlich, ferner Wochenendumgänge alle vierzehn Tage von Freitag bis Sonntag sowie Umgänge in der Ferienzeit.
Das FamG hat mit dem angefochtenen Beschluss den Antrag auf Umgangsregelung zurückgewiesen und das Umgangsrecht des Antragstellers mit seinen Töchtern bis zum 31.12.2026 ausgeschlossen. Darüber hinaus hat das FamG dem Antragsteller das Recht eingeräumt, den Töchtern vierteljährlich einen Brief in deutscher Sprache zu schreiben, der an das Jugendamt weitergeleitet, von dort geöffnet und darauf geprüft wird, ob er an die Antragsgegnerin und die Kinder weitergeleitet werden kann. Die Antragsgegnerin sei unter diesen Voraussetzungen verpflichtet, den Kindern die Post zu übergeben. Es stehe den Kindern frei, ob sie auf die Briefe antworten. […]
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers […].
Der Senat hat die Kindeseltern persönlich angehört, wobei die Anhörung getrennt erfolgte. Dies aufgrund des zu wahrenden Schutzbedürfnisses der Antragsgegnerin. Angehört wurden auch die betroffenen Kinder. Verfahrensbeistand und Jugendamt haben im Beschwerdeverfahren schriftlich und mündlich Stellung bezogen.
Die Beschwerde des Antragstellers hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
I. 1. Die Beschwerde des Antragstellers ist verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden, §§ 58 ff. FamFG. Sie ist in der Sache erfolglos.
Das Umgangsrecht eines Elternteils steht ebenso wie die elterliche Sorge des anderen Elternteils unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2, 1 GG. Beide Rechtspositionen erwachsen aus dem natürlichen Elternrecht und der damit verbundenen Elternverantwortung und müssen von den Eltern im Verhältnis zueinander respektiert werden. Der Elternteil, bei dem sich das Kind gewöhnlich aufhält, muss demgemäß grundsätzlich den persönlichen Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil ermöglichen. Das Umgangsrecht ermöglicht dem umgangsberechtigten Elternteil, sich von dem körperlichen und geistigen Befinden des Kindes und seiner Entwicklung durch Augenschein und gegenseitige Aussprache fortlaufend zu überzeugen, die verwandtschaftlichen Beziehungen zu ihm aufrechtzuerhalten und einer Entfremdung vorzubeugen (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss v. 13.12.2012 – 1 BvR 1766/12, BeckRS 2013, 46031). Ein längerfristiger oder dauerhafter Ausschluss des Umgangs eines Elternteils mit dem Kind nach § 1684 Abs. 4, 2 BGB kommt nur dann in Betracht, wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre.
Die Voraussetzungen für einen Ausschluss des Umgangs liegen vor. Ein Umgang mit dem Antragsteller würde das Wohl der beiden Kinder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachhaltig gefährden. […]
Der Senat ist nach Würdigung der Gesamtumstände davon überzeugt, dass ein Umgang die Unversehrtheit der Antragsgegnerin nachhaltig in Gefahr bringen würde.
Hierbei ist zu sehen, dass bis zur Haftentlassung des Antragstellers von diesem selbst keine Gefahr für die körperliche Unversehrtheit der Antragsgegnerin ausgehen kann, soweit nicht etwa Vollzugslockerungen die Möglichkeit eines Kontaktes des Antragstellers mit der Antragsgegnerin eröffnen. Der Senat ist jedoch unter dem Eindruck der persönlichen Anhörung der Antragsgegnerin davon überzeugt, dass jegliche Konfrontation mit der Person des Antragstellers, sei es auch die Erwartung anstehender Umgangskontakte zwischen diesem und den Kindern, zu einer Retraumatisierung der Antragsgegnerin führen würde. Die psychische und seelische Gesundheit der Antragsgegnerin wäre hierdurch nicht nur gefährdet, sondern tatsächlich beeinträchtigt. Die Antragsgegnerin hat eindrucksvoll das Tatgeschehen geschildert. Die mehrfach in Folge der Übergriffe des Antragstellers erlebte Todesangst ist im Leben der Antragsgegnerin auch heute noch gegenwärtig. Sie beeinträchtigt das Alltags- und Sozialleben der Antragsgegnerin Dies kommt auch in der von der Antragsgegnerin vorgelegten Bescheinigung der sie behandelnden Psychotherapeutin vom 16.5.2022 zum Ausdruck. In Anbetracht der erlebten Gewalt und deren Hintergrund zweifelt der Senat auch nicht an der von der Antragsgegnerin dargelegten Einschätzung ihrer Psychotherapeutin, wonach sie die Angst, getötet zu werden, niemals verlieren werde. Vor einer weiteren schweren Beeinträchtigung ihrer Unversehrtheit ist die Antragsgegnerin zum Wohle der beiden Kinder zu schützen. […]
Mit dem Jugendamt sieht der Senat auch eine Gefährdung des Wohls der Kinder darin, dass hier ein Umgang erstmals in der Justizvollzugsanstalt stattfinden würde. Ein solcher wurde zudem nicht angebahnt. Die hierzu dem Antragsteller eröffnete Möglichkeit eines brieflichen Kontakts hat dieser nicht wahrgenommen. Die Kinder, die zudem nachdrücklich einen Umgang mit dem – ihnen faktisch nicht bekannten – Antragsteller ablehnen, haben Kenntnis von dessen Taten gegenüber der Antragsgegnerin Ein Zusammentreffen der Kinder mit dem Antragsteller in den Räumen der Justizvollzugsanstalt wäre nicht nur erzwungen, sondern würde die Kinder, die die Entstellung der Antragsgegnerin mit eigenen Augen gesehen haben, mit den Taten des Antragstellers und deren Folgen konfrontieren. […]
1.2. Der Senat sieht nach der derzeitigen Sachlage und somit prognostisch einen Umgangsausschluss auch für die Zeit nach Haftentlassung als alternativlos an. Mit Haftentlassung tritt zu der nachhaltigen Gefahr für die seelische und psychische Gesundheit der Antragsgegnerin die Gefahr für ihre körperliche Unversehrtheit. Der Senat schließt sich den diesbezüglichen Ausführungen des FamG, das sich insoweit auf den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des LG Karlsruhe vom 2.3.2021 sowie das kriminalpsychologische Sachverständigengutachten vom 18.1.2021 stützt, vollumfänglich an. Die Befürchtung der Antragsgegnerin vor erneuten Übergriffen des Antragstellers findet sich in der sachverständigen Beurteilung bestätigt. Die Sachverständige sieht gerade Umgangskontakte mit Kindern und Konflikte mit der Antragsgegnerin kurzfristig als besonders risikobehaftet an. […]
1.3. Zuletzt ist eine, den Umgangsausschluss rechtfertigende Kindeswohlgefahr auch aufgrund der Instrumentalisierung der Kinder durch den Antragsteller gegeben. Eine Kindeswohlgefährdung liegt auch dann vor, wenn der Umgang mit dem Kind nur vordergründig, etwa „als Vehikel“ für weitere Auseinandersetzungen mit dem anderen Elternteil dient. So kann der Umgang ausgeschlossen werden, wenn der umgangsberechtigte Elternteil im Grunde kein am Wohl des Kindes orientiertes Interesse am Umgang zeigt, aber aus Rechthaberei oder sonst aus eigensinnigen Motiven weiter um das Umgangsrecht streitet. Ein solcher Umgang verstößt gegen die Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG, und das Persönlichkeitsrecht des Kindes, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, weil dieses damit zum bloßen Objekt elterlicher Rechte degradiert wird. Das Kind ist nicht Gegenstand elterlicher Rechtsausübung, es ist Rechtssubjekt und Grundrechtsträger, dem die Eltern schulden, ihr Handeln an seinem Wohl auszurichten (vgl. OLG Hamm 17.4.2018 – 10 UF 56/17, BeckRS 2018, 19862 m. w. N.).
Der Senat teilt die Einschätzung des FamG, dass es dem Antragsteller nicht um das Wohl seiner Kinder geht, sondern er mit dem Verfahren bezweckt, mit der Kindesmutter Kontakt aufzunehmen. […]
Ein Interesse an den Kindern, deren Wohlbefinden und Lebensalltag hat der Antragsteller nicht bekundet. Vielmehr zeigte er sich unbeeindruckt von der geäußerten Befürchtung einer Traumatisierung der Kinder im Falle eines erstmals stattfindenden Umgangs in den Räumen der Justizvollzugsanstalt. […]
Auch zeigt sich der Antragsteller in keiner Weise bemüht, an seinen Persönlichkeitsdefiziten zu arbeiten, um hier überhaupt die Voraussetzungen für einen Umgang mit seinen Kindern zu schaffen. Dem Antragsteller ist dies mehrfach vor Augen gehalten worden. An Unterstützungsangeboten hat es nicht gemangelt.
1.4. Ein Umgangsausschluss genügt auch dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Mit milderen Mitteln, etwa einer Umgangsbegleitung, kann einer zu erwartenden Kindeswohlgefährdung vorliegend nicht begegnet werden.
1.5. Der Senat sieht nach dem derzeitigen Sachstand durchaus Anlass, einen unbefristeten Umgangsausschluss zu erwägen, belässt es jedoch bei der vom FamG ausgesprochenen Befristung bis 31.12.2026. Dies eröffnet spätestens zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit erneuter Prüfung.
Einsender: Dr. jur. Thomas Meysen, Heidelberg